Der hundert­jährige Kalender

Jahr:

Installation, 2003

Material:

LCD – Temperaturanzeige, meteorologische Daten von 1903

Austellungen:

Ausstellungen Projekt RAPP

Über nichts wird so viel gesprochen wie über das Wetter. Vielfach aus Verlegenheit oder bezüglich geplanter Freizeitaktivitäten. Im ruralen Raum has das Wetter indes existentielle Dimensionen. Zu warm, zu kalt, zu viel, zu wenig Sonne oder Regen kann aller High Tech – Landwirtschaft zum Trotz heissen: Ernte oder keine Ernte, Verdienst oder kein Verdienst.

Das hat Ewald Trachsel, der aus einer Simmentaler Bauernfamilie stammt, zu seinem Rapp – Thema gemacht. Als Basis dient ihm der 100-jährige Kalender. Da kann man ganz Erstaunliches nachlesen. Zum Bei­­spiel, dass es in der Region Bern im Juli 1903 an nicht weniger als 22 Tagen regnete. Da soll noch einer schimpfen, früher habe es noch richtige Sommer gegeben! Hätte Rapp – Kunst im ruralen Raum 1903 stattgefunden, wäre es an der Vernissage vom 22. Juli gerade mal 11.3° ge­wesen um 14 Uhr! Und der 5. Juli wäre möglicherweise für einige Arbeiten das Aus gewesen, gab es doch von 4.15 Uhr bis 6.50 Uhr ein Gewitter von West nach Ost, von 7.10 Uhr bis 8.50 Uhr Gewitter aus Süden, Südwes­ten und Westen und seit 9 Uhr (der Chronist notiert das Ende schon gar nicht mehr) ein weiteres von Südwesten nach Nordosten. Und dazu 46,3 Zentimeter Regen. Ewald Trachsel, der sich in seinem Schaffen oft sehr handfest mit klimatischen Phänomenen und ihren Spuren aus- ­einandersetzt, wählte für Rapp eine sehr zurückhaltende, offene Form: Eine markante LED – Anzeigetafel am Gemeindehaus von Rapperswil zeigt von morgens um 8 Uhr bis abends 22 Uhr im Stunden-Rhythmus die aktuelle Temperatur an. Doch die Daten entstammen dem meteorologischen Kalender von 1903. So kann es sein, dass man im Vorbeifahren oder -gehen einen Moment schaudert, weil es gerade 15° «ist» und kurzzeitig vergisst, dass die Haut ja eigentlich 25° spürt. Oder umgekehrt. Oder vielleicht stimmt die Angabe ja auch, der Tag x von 1903 und 2003 sind im Einklang. Doch es geht nicht nur um Dokumentation, sondern auch um das Bewusstsein des Wiederkehrenden, des Zyklischen. Und ebenso um die Wechselwirkungen von Wetter und Alltag im ruralen Raum. Heute ebenso wie einst. Die detaillierten Angaben finden die Rapperinnen in einem Büchlein vor Ort.

 

Text: Annelise Zwez

 

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